David Byrne: Die große Kunst der Performance

Via Kronen Zeitung


Bild: HERBERT NEUBAUER / APA

Verwundert waren David-Byrne-Fans nicht über die Tatsache, dass er schon im Laufe des Nachmittags in der Nähe des MuseumsQuartiers zu sehen war. Der Musiker hat sich einfach das Rad geschnappt. So, wie er es immer und überall macht, wenn es Wetter und Gegebenheiten zulassen. Die Liebe zur Leibesertüchtigung auf zwei Rädern begleitet ihn schon sein ganzes Leben lang. In seiner Heimat New York bewegt er sich kaum anders fort, nur wenn er in den Musikbusiness-Moloch Los Angeles muss, dann muss ein Auto her. Als Höhepunkt seiner Symbiose mit dem Fahrrad entstand vor neun Jahren das Buch „Bicycle Diaries“ - musikalisch diesen Winter sein Album „American Utopia“. Wenn Byrne am Drahtesel sitzt, kommen ihm die besten Ideen und er summt die Melodien in sein Smartphone.

Im neuen Utopia
Ebenjenes Album, von Kritikern geliebt und Fans mit großem Wohlwollen goutiert, führte Byrne nun erstmals nach neun Jahren wieder nach Österreich. Kaum eine Venue wäre dafür angebrachter als die Halle E des MuseumsQuartiers. Dort, wo das Mumok direkt an die Konzertlokation grenzt, sich verschiedenste Arten von Kunst die Klinke in die Hand geben und einen schon beim bloßen Betreten des Innenhofs die Magie kultureller Kreativität umschmiegt. Für ein Multitalent wie Sänger, Komponist, Fotograf, Filmemacher und Produzent Byrne ist die Umgebung ein willkommenes El Dorado zur Entfaltung seiner Gedankenwelt und davon ist mehr als ausreichend vorhanden. Die Schlager-Prämisse „mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ trifft vollauf auf den gebürtigen Schotten zu, der im ansteigenden Alter scheinbar mühelos an Ideenreichtum, Mut, Wagnisbereitschaft und gesundem Egoismus dazugewinnt. Er hat sich längst sein eigenes Utopia geschaffen, das weit über die amerikanischen Landesgrenzen hinausreicht.

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Schon zum Opener „Here“ überrascht der in einem grauen Anzug steckende Künstler das ausverkaufte Haus mit seiner unorthodoxen Herangehensweise an ein stringentes Showkonzept. Vor perlenbestückten, schimmernden Vorhängen reckt er ein Gehirn in die Höhe und referiert musikalisch über die Kraft des Geistes. Seine elfköpfige Band, genauso akkurat gekleidet wie ihr charismatischer Chef, unterstützt ihn fortan auf der Bühne mit perfekt einstudierten Choreografien. Byrne selbst bezeichnete die Bühnenperformance im Vorfeld selbst als seine ambitionierteste Show seit den Konzerten für den Talking-Heads-Film „Stop Making Sense“ aus dem Jahr 1984. Dieser stellte damals bekanntlich das inoffizielle Ende für die legendäre Band dar, denn aufgrund des zur Schau gestellten Perfektionismus verlor Byrne die Lust auf Konzerte, womit er seine Bandkollegen vor den Kopf stieß und schleichend das 1991 exerzierte Ende der Talking Heads einleitete. Von einem solchen Ende ist heute nichts zu sehen, denn Byrne hat sichtlich Spaß am Performativen und fühlt sich in seiner Haut aus artifiziell Intellektueller Pop-Connaisseur merklich wohl.

Krankheitsheiler
Während er den Großteil des Sets geschickt zwischen seinen brandneuen Songs und unsterblichen Klassikern der New-Wave-Legenden Talking Heads mäandert, fließt das sonst oft so schwierige und schwer zu packende Publikum immer stärker mit dem Künstler zusammen. Schon im ersten Showdrittel fährt Byrne unglaublich schwere Geschütze auf. Nach dem poppig-flotten Solowerk „Lazy“ legt er das funkige „I Zimbra“ nach und erntet für „Slippery People“ tosenden Applaus. Byrne zeigt sich besorgt über die politische Lage in den USA und auch Österreich, ruft die Menschen quasi direkt an die Wahlurnen und gibt sich als Versteher der Humanisten. „Wir alle leiden derzeit an derselben Krankheit“. Heilung verspricht der graumelierte Heiland mit seinem skurrilen, aber durchwegs nachvollziehbaren Musiktheater.

Seine famosen Mitmusiker sind nicht nur Herren an ihren Instrumenten und projizieren eine unglaublich feine Klangwolke, sondern beweisen auch schauspielerisches Talent. So rücken sie ihn bei seinem einst mit St. Vincent eingespielten Song „I Should Watch TV“ mit Fortdauer des Songs beträchtlich nahe zu Leibe, schützen ihren strauchelnden Anführter bei „Once In A Lifetime“ oder feiern bei „I Dance Like This“ eine Art Wiederauferstehung. Byrne hält seine dauerzappelnde Mannschaft Kitt zusammen. Er wirkt juvenil, motiviert, bestens gelaunt und ist immer noch mühelos der König der Rhythmen. Nicht nur die Talking-Heads-Klassiker, auch seine neuen Nummern gehen förmlich über vor ohrwurmtauglichen Refrains und Strophen, die aber nie in Gefahr geraten, zwischendurch Kitsch anzusetzen.

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In Hochform
Die knapp 100-minütige Show fordert konditionelle Höchstleistungen. Byrne rennt, springt und joggt immer wieder wie ein junger Fuchs über die Bühne. Die Stimme bricht auch nach längerer Anstrengung kein einziges Mal und zieht alle Register. Dazu begleiten ihn in manchen Momenten bis zu sechs Percussionisten gleichzeitig, das Keyboard wabert eher im Hintergrund und bei „Everybody’s Coming To My House“ ist sogar Platz für ein testosterongeschwängertes Gitarrensolo. Steil auf die 70 zugehend befindet sich Byrne in der Blüte seiner Physis und konterkariert mit seiner Spielfreude das trist gehaltene Erscheinungsbild: die Optik mag grau wirken, aber das Treiben auf der Bühne ist so bunt wie eine Jolly-Farbpalette.

Einzelne Highlights herauszufiltern würde dem Abend voller Höhepunkte gar nicht gerecht werden. Zu stringent, spannungsgeladen und kurzweilig gestaltet sich das Set, das noch nicht einmal dann an Stimmung abfällt, wenn es bei Songs wie „Bullet“ mal kurz zurückgelehnter und balladesk wird. Bei „Every Day Is A Miracle“ hat er im Hochtonbereich spät im Set die beste Stimmlage und mit dem Talking-Heads-Doppel „Blind“ und „Burning Down The House“ reißen er und seine 1700 treuen Gefolgsleute beinahe die Halle ab. Ein unbestreitbares Top-Konzert, das auch die Qualitäten zu einer hochklassigen Tanzrevue hat sieht man auch hierzulande nicht alle Tage. Schade nur, dass sich Byrne als Musiker in der Öffentlichkeit so rar macht. In dieser Verfassung würde nur mehr eine Talking-Heads-Reunion zur völligen Glückseligkeit fehlen.

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