David Byrne fordert: «Sir, let them dance!»

Via Neue Zürcher Zeitung

Was ist das? Ein gebratenes Huhn, ein Vanillepudding? David Byrne besingt das menschliche Hirn. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Ueli Bernays

Stellt man sich so einen Pop-Star vor? Ist so einer ein Idol? David Byrne erscheint auf der Bühne als schlaksiger Herr im grauen Anzug und lässt an einen Beamten, einen Lehrer oder Banker denken: ein freundlicher, nüchterner Normalo. Dass er die Bodenhaftung nicht verloren hat, bedeuten wohl auch die baren Füsse. Der 66-jährige, schottisch-amerikanische Gitarrist, Sänger und Songwriter sitzt einsam an einem Pult. In den Händen hält er . . . Was ist das? Ein gebratenes Huhn, ein Vanillepudding? Aha, es ist ein menschliches Hirn! Byrne besingt es in wandernden Worten: «Hier ist eine Region vieler Details, hier ist eine Region, die noch lebt.» Das Rezitativ nimmt sich zage aus. Es dröhnt nicht der Brustton der Überzeugung, die Stimme mäandert im Zweifel. Und die Musik transportiert noch keine Botschaft, sie bewegt aber bereits den Geist.

Primus inter Pares: David Byrne und seine Begleitcrew. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Neues und altes Material

«Here» heisst dieser Song, mit dem David Byrne am Dienstagabend seinen Auftritt im ausverkauften Theater 11 in Zürich eröffnet. Es handelt sich um einen Titel seines neuen Albums «American Utopia», das seine jetzige Tournee mit neuem Material alimentiert. Das Repertoire allerdings ist vielfältig. Auf der Bühne, die sich, von grauen Vorhängen eckig eingefriedet, quasi als Grey Cube darstellt, wird Byrne von einer wachsenden Zahl Begleitsängerinnen und Begleitmusiker umgeben. Als Primus inter Pares führt er schliesslich eine elfköpfige Truppe, die als Band, manchmal aber auch als Chor oder Tanzgruppe fungiert, auch weit in die Talking-Heads-Zeiten zurück. Prompt sorgen Klassiker wie «Slippery People», «Blind» und «Burning Down The House» für die Höhepunkte des Abends. Wobei das insbesondere der potenten Rhythm-Section zu verdanken ist, die den Funk befeuert, den Gospel erhitzt – und zuletzt auch Janelle Monáes «Hell You Talmbout», einen Protestsong gegen den Rassismus in den USA, mit viel Zorn und Engagement auflädt.

Bald merkt man auch, dass das Konzert direkt auf «Stop Making Sense» anspielt – auf jenen Konzertfilm, der David Byrnes New-Wave-Band Talking Heads 1984 den grossen Durchbruch ermöglichte. Wie damals aber wird die Band allmählich grösser, wiederum fügen sich die Begleiter und Begleiterinnen in eine lockere, theatralisch-tänzerische Choreografie. Und wie in «Stop Making Sense» stecken Byrne und seine Kolleginnen und Kollegen in grauen Uniformen.

Berühmt wurde vor allem ein überdimensionierter Anzug, den Byrne gegen Ende des Films trug. Fast schien er unterzutauchen und zu verschwinden in jenem Kleidungsstück. «Why this big suit?», wurde er gefragt. Byrne war um die Erklärung nicht verlegen: Sein Kopf erscheine kleiner dank dem überweiten Schnitt, der Körper aber umso markanter – und der Körper sei immer etwas vertrauter mit der Musik.

Die Antwort führt mitten in die Komplexe, die David Byrne beschäftigen, seit er Mitte der siebziger Jahre die Kunstschule in Rhode Island verliess, um sich mit den neu gegründeten Talking Heads der Rockszene im New Yorker Klub «CBGB’s» anzudienen (die Band trat damals im Vorprogramm von Television, Ramones und Blondie auf). Inspiriert und fasziniert von der Welt wie von der Kunst, trug der Pop-Musiker ja selber einen intellektuell belasteten Kopf durchs Leben. Obwohl er die Welt gerne hätte beschreiben und deuten mögen, schien ihm sinnvolles Reden offenbar problematisch in der Unübersichtlichkeit der Postmoderne und des Post-Punk.

«We are vain and we are blind», sang Byrne in «Psycho Killer», dem frühen Talking-Head-Hit. Und es nervten ihn offenbar jene Leute, die das nicht einsehen wollten: «You're talking a lot, but you're not saying anything.» Dementsprechend nahm sich später auch der Filmtitel «Stop Making Sense» wie eine gleichzeitig deskriptive und normative Losung aus. Wenn die Welt aus den Fugen geriet und das Leben keinen Sinn mehr machte, sollte man dieses Defizit oder Vakuum nicht einfach wegzutexten versuchen.

Barfüssig tanzt es sich besser – und man verliert die Bodenhaftung nicht. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Was tun?

Was aber konnte man überhaupt noch tun? Für Byrne war die Musik die Antwort, ja sozusagen die Rettung, wie er unterdessen erklärte. Insbesondere der Rhythmus erwies sich als Kraft, als Strom, dem er sich aussetzte. Statt getragen zu werden von einer reissfesten Tradition, liess er sich treiben von musikalischen Trends und tänzerischen Beats. Tanzen ist für ihn offenbar ebenso eine fröhliche physische Praxis wie eine existenzielle Metapher.

Das wird auch im Konzert deutlich. In «Once In A Lifetime» torkelt er über die Bühne, bevor er sich dank dem Groove in den Tanz retten kann. «We dance like this, because it feels so damn good», singt er in «We Dance Like This». Er müsse an seinen Schritten noch etwas arbeiten, singt er selbstironisch; der Mangel an Können und Talent sei ihm aber egal: «You don’t have to look.» Umso seltsamer, dass das Publikum lange in den Theatersitzen verharrt. Dann stehen zwei auf, tänzeln – und schon versucht ein Platzanweiser, sie daran zu hindern (weil die Sitze kaputtgehen könnten oder weil man hinten nicht mehr nach vorne sieht?). Byrne kriegt das mit und unterbricht den Song: «Sir, let them dance!» Das Publikum applaudiert, jetzt tanzt der ganze Saal.

David Byrne ist Verfechter einer DIY- und Amateur-Kultur. In seiner Aufsatzsammlung «How Music Works» (2012) wirbt er dafür, dass alle selber Musik machen sollten, statt sich auf einen Kult der Könner und Stars zu versteifen. Dass sie prinzipiell zwischen Profis und Anfängern unterscheide, sieht er als grosse Chance der Pop-Musik. Er selber hat sie einst gepackt mit den Talking Heads. Allerdings wurde er recht schnell zum Rhythmus-Guru. Schon auf den ersten Alben veranstalteten die Talking Heads ein rhythmisches Kesseltreiben. Bald setzte die Band auf den ratternden Funk, der sie fortan weit die «Road to Nowhere» hinaufbeförderte.

Ausserdem liessen sich die Talking Heads von Rhythmen aus der ganzen Welt inspirieren – auf dem Album «Remain In Light» (1980) zum Beispiel von Fela Kutis Afrobeat. 1981 produzierte Byrne in Kooperation mit seinem Freund Brian Eno «My Life In The Bush Of Ghosts». Das Geflecht aus Beats und Sounds setzte sich aus Samples zusammen, die die beiden musikalischen Feldforscher aus der ganzen Welt zusammengetragen hatten. In der Methodik nahmen Byrne und Eno dabei nicht nur den Big Beat und Trip-Hop der neunziger Jahre vorweg, sondern auch die sogenannte World-Music, der sich Byrne später mit seinem Label Luaka Bop widmen sollte.

David Byrne – ein sympathischer Künstler mit der Aura eines Missionars. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Der Funk à la Talking Heads ratterte, trieb und peitschte, er wirkte indes nie ganz so elastisch und gelassen, wie man das von afroamerikanischen Vorbildern kannte (etwa von George Clinton). Wo der schwarze Beat sonst seine Spannung den Muskeln und Sehen verdankt, gaben bei den Talking Heads wohl Nerven und Bluthochdruck den Takt vor. Stimuliert aber durch diesen rhythmischen Speed, rang der Sänger David Byrne mit seiner eher dünnen, gepressten Kopfstimme nach Luft und nach Worten.

Das Dichten oder Verdichten der Lyrics hat Byrne später als eher zufälligen, eher unbewussten Prozess beschrieben. Die Melodie evoziere Wörter oder bloss Silben. Manchmal beliess Byrne ihnen die Unschuld des Nonsens – so etwa im Afro-Dadaismus von «I Zimbra», das nun auch live wieder überzeugt. Byrnes lakonische Lyrics nehmen sich oft auch wie leichte Konstrukte aus, in denen sich Alltagserfahrung und Beobachtungen mit Zitaten und Phrasen mischen. In «Once In A Lifetime» imitiert er Prediger, in «Dancing Together» zitiert er Imelda Marcos. So sieht er sich weniger als genuinen Poeten denn als ein Sprachverwerter.

Pastiche-Pop

Als Vertreter eines solchen Pastiche-Pop hat Byrne am Sockel des Genie- und Autorenkults gerüttelt. Das passte zwar bestens in die postmodernen Diskurse der achtziger Jahre, die den Tod des Subjekts herbeiredeten. Byrne aber ging es in erster Linie um künstlerische Bescheidenheit.

Das Subjekt ist nicht tot, es sollte aber etwas demütig sein. Wir gingen als Touristen durch unser Leben, trällert Byrne in «Everybody Is Coming To My House». Es fehlen traditionelle Verwurzelung ebenso wie verlässliche soziale Bindungen. Dass man auch als frei schwebender Künstler und Kurator glücklich werden kann, hat David Byrne in Zürich bewiesen und sich dabei durchaus als Vorbild mit missionarischer Aura empfohlen. Hingegen verzichtet er auf den gleissenden Glamour eines Pop-Stars, der junge Fans erwärmen und erleuchten könnte. Kein Wunder, ist das Zürcher Publikum nicht mehr das jüngste. Kein Wunder, gehen die Achtziger-Jahre-Revivals in der Regel an David Byrne, einer der originellsten Figuren der New-Wave-Zeiten, vorbei.

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