Ekstase im Massanzug

Via Tages Anzeiger

Foto: Keystone

Jean-Martin Büttner

Es passiert nach einer halben Stunde, der Sänger und seine Band intonieren «Slippery People», eine gospelgetränkte Funknummer aus der besten Zeit der Talking Heads, mit denen David Byrne damals zusammen spielte – als er seinen 11 Musikern unvermittelt sagt, sie sollten aufhören.

Sie tun es, er zeigt auf die zwei, drei Leute, die im vollbestuhlten Theater 11 vor sich hintanzen und fordert uns auf, es ihnen nach zu machen. Alle stehen auf und tun es. Es kommt einem vor, als gehe ein Stromstoss durch die Menge.

Wer tanzt, versteht

David Byrne, die Parodie eines verknoteten Intellektuellen, bekannt geworden durch seinen näselnd-neurotischen Gesang, durch seine paranoiden, anorektischen Texte, ein Unbehaglicher in der Kultur – er hat ein Leben lang versucht, sich aus den Zwängen seiner Zivilisation frei zu tanzen. Viele seiner Stücke und das ganze, fantastische Konzert vom Dienstagabend handeln von dieser Befreiung, von der Lösung selbst angelegter Fesseln, von der Überwindung von Angst, Einsamkeit und intellektueller Hemmung. Er selber wusste von diesen Zwängen und hat sie immer wieder thematisiert. An einem Konzert der Talking Heads in Deutschland beklagten sich einige im Saal darüber, dass sie ihn nicht hören konnten. «If you dance, you understand the words better», sagte er: Wer tanzt, versteht. Die Bewegung als Befreiung aus den Fesseln der Sprache.

Es ging trotzdem nicht gut aus, damals: Die Talking Heads trennten sich 1991 im bitterem Streit, die Kollegen warfen ihrem Sänger mit einem gewissen Recht Egozentrik vor, alles kam von ihm, die Texte, Konzepte und Filme. Aber er war es auch, der die Band berühmt gemacht hatte. Kein Sänger hat so leidenschaftlich die Unfähigkeit besungen, Gefühle zu haben. «People look ridiculous when they're in ecstasy», schrieb er einmal: Ekstase macht lächerlich. Das natürlich kann nur einer sagen, der sich nach dem Zustand sehnt, den er nicht erleben kann.

Was sich auf dieser Bühne abspielt, hat man so noch nie erlebt.

Im Unterschied zu seinen damaligen Mitmusikern spielt David Byrne bis heute mit grossem Erfolg zu seinen Bedingungen. Sein letzter Zürcher Auftritt, das war vor über neun Jahren im Volkshaus, rührte das Publikum zu Tränen, und auch die Musiker waren bewegt.

Der Auftritt vom Donnerstag beginnt dort, wo das letzte Konzert endete. Bemerkenswert dabei: Wie bruchlos Byrne die Gegenwart mit der Vergangenheit versöhnt. Unerschrocken stellt er sein neues Album «American Utopia» in den Mittelpunkt der Aufführung. Nicht alles darauf ist gelungen. Aber alles gelingt auf der Bühne.

Denn was sich auf dieser Bühne abspielt, hat man so noch nie erlebt. Ein grauer Vorhang schneidet drei Flächen eines strengen Quadrats, er fällt wie gefrorenes Wasser. Das Licht strömt kalkweiss von der Decke, alle Musiker haben graue Massanzüge an, und jeder von ihnen trägt sein Instrument mit sich und tanzt in einer entspannten Choreographie. Die Musiker bewegen sich mit Disziplin und Ausgelassenheit, singen im Chor, treiben einander an, steigern sich, kommen abrupt zum Schluss.

Das Konzert ist als Befreiung angelegt. Dennoch bleibt sein Protagonist ein Gefangener: David Byrne besingt einen Zustand, der ihm selber verwehrt bleibt. Symptom dafür ist die Metapher des Hauses, die er während des Konzertes dreimal formuliert. In «Once in a Lifetime», einem der bekanntesten Stücke aus der Zeit mit den Talking Heads, erzählt er von einem Mann, der eines Morgens in fremder Umgebung aufwacht und nicht mehr weiss, wohin er gehört. «This is not my beautiful house», schreit er aus einem Alptraum heraus, aus dem er nicht erwachen kann. «Everybody's Coming to My House», die Single des neuen Albums, klingt versöhnlich, aber auch hier lauert die Verlorenheit: Jeder kommt zu mir heim, singt er, also werde ich nie mehr alleine sein. Lonely crowd, die einsame Masse.

In «Burning Down the House» schliesslich, gegen Ende des Konzertes in einer mitreissenden Version gegeben, singt Byrne von einem Mann, der dermassen Angst vor dem Feuer hat, dass er sein Haus anzündet. «Fighting fire with fire» singt er, und wir singen es mit ihm, singen es mit flammenden Zungen. Ein paar Stücke später geht das Licht an: Und wir gehen verstört, betört nach Hause.

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